Wochenrückblick KW 29
Ich weiß aus mittlerweile unzähligen Seminaren, dass Betriebsräte bei sogenannten Formalien – wie zum Beispiel der ordnungsgemäßen Beschlussfassung – leicht genervt reagieren.
Dies liegt zum einen an der Tatsache, dass Formalien ja auch nur wirklich überprüft werden, wenn eine Angelegenheit streitig bei Gericht landet.
Dann aber zählen nur Tatsachen – und wenn Beschlüsse nicht ordnungsgemäß vorliegen oder gar nicht erst gefasst wurden, wird es in der forensischen Praxis ungemütlich – und auch Arbeitgebern kann dies zum Nachteil gereichen, wie der heutige Fall zeigt, den ich nachfolgend vorstellen möchte.
Das Bundesarbeitsgericht ( BAG ) musste entscheiden, ob eine Zustimmungserklärung des Betriebsratsvorsitzenden zu einer Betriebsvereinbarung, die ohne Beschluss des Betriebsrates erteilt worden ist, wirksam ist oder nicht.
Der Fall:
In einem Betrieb mit einem dreiköpfigen Betriebsrat bestand seit langem eine Betriebsvereinbarung zur Eingruppierung auf der Grundlage einer sogenannten analytischen Arbeitsbewertung sowie zur Prämienzahlung.
Im Juni 2017 unterschrieb der Betriebsratsvorsitzende zwei ablösende Betriebsvereinbarungen, die sich nachteilig auf einen Arbeitnehmer auswirkten. Der klagte daraufhin auf die Feststellung, dass er gemäß der bisherigen Betriebsvereinbarung einzugruppieren und zu vergüten sei.
In dem Prozess stellte sich heraus, dass der Vorsitzende die Betriebsvereinbarungen aus dem Jahr 2017 ohne Beschluss des Betriebsrats, aber nach vorheriger informeller Abstimmung mit den anderen beiden Betriebsratsmitgliedern unterschrieben hatte.
Diese kannten die bevorstehende Unterzeichnung der Betriebsvereinbarungen.
Der Arbeitgeber wiederum wusste hiervon bis zu dem Prozess nichts.
Von der Möglichkeit, die Zustimmung des Vorsitzenden zu den beiden Betriebsvereinbarungen nachträglich per Beschluss gemäß § 33 Abs.1 BetrVG in Verbindung mit § 184 Abs.1 BGB zu genehmigen, machte das Gremium keinen Gebrauch.
Der Leitsatz der BAG-Entscheidung lautet:
„Eine vom Betriebsratsvorsitzenden ohne Beschluss des Gremiums abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung kann dem Betriebsrat nicht nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden.“
Da Betriebsvereinbarungen für alle Arbeitnehmer des Betriebs unmittelbar und zwingend gelten (§ 77 Abs.4 Satz 1 BetrVG), ist eine demokratische Legitimation erforderlich.
Sie liegt in dem mehrheitlich getroffenen Beschluss des Betriebsrats.
Es gibt keine Notwendigkeit, zur Absicherung einer raschen und rechtssicheren Betriebsratsarbeit dem Betriebsratsvorsitzenden die Möglichkeit an die Hand zu geben, Betriebsvereinbarungen ohne wirksamen Betriebsratsbeschluss in Kraft zu setzen.
Auch der Arbeitgeber kann sich Kenntnis darüber verschaffen, ob eine Betriebsvereinbarung aufgrund eines Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrats gilt oder nicht. Denn er kann Betriebsratssitzungen zu bestimmten Themen verlangen, und an diesen Sitzungen teilnehmen.
Im Anschluss daran muss der Betriebsrat ihm eine Abschrift des Teils des Sitzungsprotokolls aushändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Betriebsrats zu dem betreffenden Thema ergibt.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.02.2022,
1 AZR 233/21)
Ich möchte mit dem Hinweis auf diese Entscheidung den gut gemeinten Hinweis verbinden, dass die Abläufe im Gremium nun mal gesetzeskonform sein müssen. Ein einfaches „das machen wir mal so“ reicht da nicht.
Dass das Bundesarbeitsgericht die Arbeitgeber mit in die Pflicht nimmt, weil sie auch bei bestimmten Themen an Betriebsratssitzungen teilnehmen können, finde ich bemerkenswert, fördert aber vielleicht mal den von mir immer als richtig und wichtig angesehenen ständigen Austausch zwischen den Betriebsparteien, sei es in regelmäßigen Meetings oder im Betriebsverfassungsrecht verankerten Monatsgespräch, welches aber nun mal nur als Sollvorschrift gesetzlich verankert ist.
Nächste Woche geht es, wie letzte Woche, zunächst nach Erfurt und dann allerdings weiter nach München, ab Mittwoch dann bis Freitag Büro.
Euch eine schöne Woche!