Wochenrückblick KW 36
Nach einem heißen Sommer beginnt nun der heisse Herbst!
Es warten schwierige Verfahren und Einigungsstellen auf uns, wir freuen uns aber, überall dazu beitragen zu dürfen, dass Lösungen gefunden werden. Ob es dann auch streitige Entscheidungen geben muss, werden wir sehen.
Gestern war ich in der Nähe meiner alten rheinländischen Heimat in einer Einigungsstelle zur Vergütungsstruktur. Hier ergeben sich leider mehrere tarifrechtliche Fragen, sodass eine Lösung nicht einfach sein wird – angesichts der Inflationsrate im Land ist das in höchstem Maße unerfreulich. Ich bin froh, dass die beteiligte Gewerkschaft an unserer Seite ist, denn, so schön eine Vergütungsstruktur auch ist, ein Entgelttarifvertrag im Unternehmen muss immer das Ziel sein, um gute Löhne zu garantieren, erst recht in Zeiten, wo Beschäftigte es sich am Ende des Tages aussuchen können, wo sie arbeiten.
Ich weiß, dass Betriebsratsarbeit generell nicht einfach ist, gerade im Hinblick auf die nächsten Monate, wo niemand sagen kann, wohin die Reise bezüglich Strom- und Gaskosten geht.
Sie ist aber alternativlos. Dieses Land hat sich jahrzehntelang wegen konsequenter Mitbestimmung durch viele Stürme hin stabil gehalten ohne ein krisenbedingtes „hire und fire“.
Dies zu erhalten ist jeden Aufwand wert.
Ich glaube aber, dass gerade die jüngere Generation wieder konfliktfähiger werden muss. Sie hat eine Zeit erleben dürfen, wo alles da war. Jetzt gilt es aber, Erreichtes zu erhalten und das wird nicht ohne Konflikte gehen.
Was habe ich inhaltlich?
Ein Betriebsrat hat Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken.
Bestehen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde, so kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Dies gilt nicht, soweit Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch ist.
So steht es in Paragraf 85 BetrVG.
Das Problem an dieser Vorschrift ist, dass die meisten Beschwerden auch Rechtsansprüche beinhalten – zumindestens mittelbar und der Betriebsrat die Einigungsstelle daher nicht durchsetzen kann.
In dem von uns betreuten Fall war der Arbeitnehmer abgemahnt worden. Die Abmahnung beruhte unter anderem auf einer Befragung der Personalabteilung. Der Arbeitnehmer hatte sich beim Betriebsrat auch über die Art und Weise der Zeugenbefragung durch die Personalabteilung beschwert. Nach erfolglosem Abhilfeverlangen beim Arbeitgeber betreibt der Betriebsrat das Einigungsstelleneinsetzungsverfahren – mit teilweisem Erfolg.
Das hessische Landesarbeitsgericht Az. 5 TaBV 158/21 führt in seiner Begründung des Beschlusses zur Einsetzung der Einigungsstelle wie folgt aus:
„ Mit seiner Beschwerde hat der Arbeitnehmer ….. auch die inhaltliche Richtigkeit der Abmahnung angegriffen. Dem steht nicht etwa entgegen – wie der Betriebsrat meint –, dass das Wort Abmahnung im Beschwerdetext nicht auftaucht.
Denn der Arbeitnehmer hat unmissverständlich den abgemahnten Vorfall aufgegriffen und zum Gegenstand seiner Beschwerde gemacht. Die Berechtigung einer Abmahnung kann als Rechtsfrage nicht Gegenstand einer Einigungsstelle nach Paragraph 85 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sein.
….
Mit dem zweiten Aspekt der Beschwerde des Arbeitnehmers wird allerdings die inhaltliche Richtigkeit der Abmahnung nicht angegriffen. Vielmehr wird die Art und Weise der Zeugenbefragung im Zusammenhang mit der Tatsachenfeststellung im Vorfeld der Abmahnung beanstandet. Da es keinen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Form der Sachverhaltsaufklärung vor dem Ausspruch einer Abmahnung durch den Arbeitgeber gibt, betrifft diese Rüge keinen Rechtsanspruch.
Derartige rechtlich nicht geregelte Fragen des Zustandekommens einer Abmahnung werden von dem Ausschlusstatbestand des Paragraphen 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht erfasst. Der Hinweis des Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin im Anhörungstermin, dass es in diesem Zusammenhang um die Verletzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht gehe, greift nicht durch. Das denkmögliche Bestehen von Rechtsansprüchen bleibt unberücksichtigt, wenn es sich um lediglich aus Fürsorgepflicht ableitbare Nebenansprüche im Arbeitsverhältnis handelt, die nicht klar gegeben oder allgemein anerkannt sind.“
So wurde der Einigungsstellenvorsitzende eingesetzt zum Thema „Berechtigung der Beschwerde des Arbeitnehmers … vom …., soweit sie die Art und Weise der Zeugenbefragung über den Hergang des Vorfalls vom ……. betrifft.
Ich bin ziemlich stolz auf diese Entscheidung, weil es in der Kommentarliteratur wenig konkrete , erfolgreiche Entscheidungen zu Paragraf 85 BetrVG gibt – diese gehört hoffentlich bald dazu.
Euch eine schöne Woche!
Ich darf nächste Woche wieder schulen und zwar zum Betriebsverfassungsrecht.